Eigentlich wollten wir dieses Jahr am Karfreitag die „Johannes-Passion“ von Heinrich Schütz aufführen. „Wir“ sind das Vokalensemble Königstein, ergänzt durch zwei hervorragende Solisten für die Rollen des Evangelisten und des Jesus. Die Proben liefen, das Stück bekam Kontur, die Intonation gewann und die Interpretation wurde farbiger. Beste Voraussetzungen für eine mindestens solide Aufführung waren bis Anfang März gelegt und von da an sollten noch einige reguläre Proben und ein zusätzlicher Probensamstag folgen. Insgesamt also gute Voraussetzungen. Und dann kam…
…ein Virus, der auch die Vorbereitungen unserer Aufführung befiel und in seiner Symptomatik zur Absage führte.
Doch wie immer nach der Phase des Niedergeschlagen-seins folgt die Phase des Trotzes, gepaart mit Einfallsreichtum. Meine Suche nach einer historischen Solo-Passion lief ins Leere. Alle mir bekannten und zugänglichen Stücke brauchen zwingend einen Chor, um verschiedene Rollen in der Handlung zu spielen. Sicherlich ist es auch unter dramaturgischen Gesichtspunkten sinnvoll, dass die Handlung möglichst eindrücklich, wenn nicht sogar drastisch, dargestellt wird. Trotzdem ist genau das dieses Jahr nur sehr schwer – und in unserem Fall garnicht – möglich.
Also ging ich daran, die Johannes-Passion nach einem Evangelienton von Martin Luther zu setzen, sodass sie als „Evangelienlesung“ solistisch aufführbar ist. Meine Hoffnung ist, dass so wenigstens im privaten Rahmen auch dieses Jahr eine Passion live erklingen kann. Denn gerade in der Passionsgeschichte geht es um das Leiden und Sterben eines Menschen, der sich nicht der allgemeinen Meinung und den allgemeinen Gepflogenheiten unterwarf, sondern der auf Missstände hinwies, der problematische Praktiken benannte. Für mich ist gerade dieser Aspekt, der Voraussetzung für die eigentliche Passionsgeschichte ist, gerade in diesem Jahr 2020 ein wichtiger Impuls bei der Beobachtung all dessen, was gerade geschieht.